Holzweg oder von Gisborne zu neuen Ufern
- drehknoepfle
- 3. Mai 2020
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Mai 2020
Die gelbe Herbstaster hatte ich zu Beginn des Lockdown gekauft und so hatte sie mich die ganzen Wochen begleitet.
Und wie unschwer erkennbar der Fahrradständer tut's auch wieder.
Nachdem zum 28.04.2020 die Alarmstufe des Lockdown NZ von vier auf drei zurückgefahren wurde, konnte ich mich auch für die vor mir liegende Zeit neu präparieren. Begann damit, dass Rennstahl wieder voll funktionsfähig (Siehe Erweiterung: "Da ist guter Rad teuer") gemacht werden musste und ich auch noch neuseeländische Bankgeschäfte zu tätigen hatte. Ansonsten war auch noch Mal dran, meine Kleidung von üblen Gerüchen (hat vermutlich zu lange im Schrank gelegen) zu befreien und die Lebensmittelvorräte zu überarbeiten. Hatte ich doch nach drei Mal anstehen ein Packet Mehl ergattert, wollte ich es auch noch zu einem Maronenbrot verarbeiten. An dieser Stelle auch noch ein Verweis zu "Tage in Gisborne", die in der Zwischenzeit auch noch Erweiterungen erfahren haben. Ansonsten machte sich bei mir ein allgemein beschwingtes Gefühl, mit einer leichten Tendenz zum Aufgeregt sein bemerkbar. Schon um 06.00 wach, tauschte ich mich via Skype zum Frühstück (dank dem guten WiFi) noch mit Martina aus. Hernach machte ich mich daran, mit ihrem stärkenden Zuspruch als auch dem stärkendem Müsli, Rennstahl zu satteln und jedem Gisborner freundlich zuwinkend die Stadt in Richtung Norden zu verlassen.
Von meinen Rundtouren, kannte ich die ersten 20 Kilometer schon auswendig, bis die Staten Highway 2 dann an einer Kreuzung in neues Terrain einschwenkte. Hatte ich den kräftigen Wind bisher von vorne oder der Seite, so schob er mich jetzt von hinten an. Dazu die Ebene von Gisborne und so hätte ich unter diesen Bedingungen, ohne viel Aufhebens bis in das etwa 200 km entfernte Napier durchrollen können. So musste ich bei dieser Lastveränderung unweigerlich an meine Paddeltouren vom Bodensee bzw. auf dem Hochrhein nach Schaffhausen denken. In dem Dorf Wangen am Untersee ein Kanu gemietet, mühte man zunächst um die ungewohnte Art der Fortbewegung und meist auch gegen den Wind, der einem über den See kommend ins Gesicht blies. Diese Plagerei dauerte aber nur so lange an, bis man die Insel Werth (ein wunderschöner Ort mit Minikloster und toller Atmosphäre) oberhalb von Stein am Rhein passierte. Wie von Zauberhand nahm das Kanu auf einmal Fahrt auf und das Paddel war nur noch dazu nötig, den Kurs zu korrigieren. So gelangte man linksrheinisch durch die Schweiz und auf der rechtsrheinischen Seite mit mehreren Wechsel der Länderzugehörigkeit, nach Schaffhausen. Habe ich eben nicht die Schweiz erwähnt, sicherlich habt Ihr seit dem letzten Mal meine Lieblingswort aus der Schweiz vergessen. Zur Abwechslung zum Mitjodeln, Chuchichäschtli (Küchenschrank). Aber ich bin ja jetzt am Radfahren und bewegte mich mit Rückenwind, nicht auf den Rheinfall sondern auf die ersten Steigungen zu. (Wenn man da durch muss, gleichermaßen unangenehm.) Die Tante Googlina sprach von über 600 zu überwindende Höhenmetern, auf die gesamte Strecke verteilt. Vor einigen Tagen war ich noch unter anderem, zu Trainingszwecken den Waimata Valley Road bis in die Berge und zum Schluss über Schotterwege gefahren und so wähnte ich mich gut vorbereitet für die erste Etappe, nach fast fünf Wochen Exil. Vorbei ging es wieder an weitläufigen Weidefläche und urwüchsigen Wäldern. Ziemlich unangenehm der fehlende oder meist nur schmale Seitenstreifen, neben der unkomfortabel schmalen Fahrbahn. War doch gefühlt jedes zweite Kraftfahrzeug ein Truck mit Holz. Zu Tal kamen die LKW’s einem mit ihrem Baumstämmen entgegengeflogen und zu Berg fegte sie mit aufgesatteltem Anhänger von hinten kommend, dicht an einem vorbei. In Deutschland gab es vor Jahren ein Aufkleberaktion (vermutlich vom Tierschutzbund), so klebte dann auf manchen Fahrzeugen zu lesen, “Ich bremse auch für Tiere“. Neben den sporadischen Schildern, 1,5m Abstand zu Radfahrern halten, würde ich mir eine ähnliche Aktion Mal für die neuseeländischen Fahrern von Kraftfahrzeugen im Zusammenhang mit Radlern wünschen. Spätestens als mir die Trucks nur noch mit geplagten Motorbremsen entgegendröhnten, während die Bergfahrer im ersten Gang an mir vorbeikrochen, war mein Trainingsvorsprung dahin und ich nur noch, mich am ziehen und Rennstahl am schieben. Von den in Gisborne erworbenen oder gebackenen Leckereinen wollte ich doch möglichst viel ins neue Domizil retten. Durchaus nachvollziehbar, dass ich noch nie so schwer beladen wie heute war. (Versteckt sich da nicht in mir irgendwo ein kleiner Schwabe?)
Kleiner Boxenstopp zum Aufziehen der Blasenpflastern. Fahrradschuhe sind nicht wirklich bequem um schwere Lasten die Berge hoch zu schieben.
Doch irgendwann war ich auf dem Top of the Hill angekommen, der sich auch mit einem schön angelegten Rastplatz ankündigte. So genoss ich bei angenehmen Temperaturen und herrlicher Aussicht die mitgeführten Butterbrote, als ein silberfarbener japanischer Kleinwagen mit hohem Tempo in die Raststelle einschwenkte.
Dem Fahrzeug entsprang eine Frau, die sich augenblicklich in die neuseeländischen Wälder flüchtete. Des Weiteren vermutlich der Mann der hochflüchtigen Frau und eine ca. 20 Jahre junge Frau, augenscheinlich die Tochter der Beiden. Der Mann schritt behäbig mit nackten Füssen bis zur Mülltonne um den Flüssigkeitsstand seiner Blase zu regulieren, während sich die Tochter auf den Betontisch neben ihrem Auto setzte. Rechtes Bild die Piselmülltonne und wie unschwer erkennbar die gleiche Entsorgungsproblematik wie in Deutschland.
Um das Ganze nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, nur ein kurzer Abriss des sich entwickelnden Dialogs. Mann fragt mich: „ Wo kommst Du her? Ich: „Komme von Gisborne.“ Tochter: „Bekommt einen Lachanfall.“ Mann fragt mich: „Wo willst Du hin?“ Ich: „Nach der Halbinsel Te Mahia.“ Tochter: „Bekommt einen Lachanfall.“ Mann erklärt mir: „Meine Frau ist Schweine jagen gegangen.“ Ich: „ Nicke verständnisvoll und erkläre, dass die Frauen in Germany das auch schon Mal machen.“ Tochter: „Bekommt einen Lachanfall und nestelt weiter mit etwas herum.“ Frau kommt zurück aus dem Wald und jetzt ist auch erkennbar, dass sie genauso wohl gerundet ist wie ihr Mann. Sie allerdings in froher Hoffnung und er eher wegen, denk Euch selbst was aus. Mann nimmt sich aus dem Fahrzeug eine angebrochene Bierflasche und bringt diese trinkenderweise zum Mülleimer. Das Gras ist noch feucht vom P.... ! Mann krabbelt mühselig hinter die Vordersitze des Autos und angelt sich eine weiteren Flasche Bier. Mann fragt: „Willste auch eine Flasche Bier?“ Ich: „Sage freundlich lächelnd nein danke, muss ja noch fahren.“ Tochter: „Bekommt einen Lachanfall.“ Tochter (mittlerweile ersichtlich, will sich eine Zigarette drehen) zur Frau: „Jetzt hilf mir doch Mal.“ Frau hilft ihrer Tochter beim Drehen. Mann fragt mich: „Willst Du auch einen Joint?“ Tochter: „Ihr wisst schon …….. Ich: „Nein danke, sonst ja immer gerne aber ich muss ja noch fahren.“ Tochter : „...….……. Mann sagt: „ Nimm ruhig einen, ist Marihuana, dann kannst Du den ganzen Tag Downhill (Schuss den Berg runter) fahren.“ Tochter: „.....………. Nach einem weiteren Austausch von Freundlichkeiten (Guten Weg, gute Reise, schönen Tag, genieß die Tour, usw.) trennten sich wieder unsere Wege. Verstohlen, angesichts der geballten Ladung an Klischees aus dem "Müll-lieu", mit denen ich gerade bombardiert wurde, schaute ich mich erstmal nach versteckten Kameras um. Auch achtete ich darauf, ob vielleicht aus irgendeinem Gebüsch ein neuseeländischer Guido Cantz mit Mikrofon im Anschlag auf mich zu steuert. War aber nicht weil, war alles echt. Der wirkliche Wahnsinn nahm damit seinen Lauf, dass ich die von Tante Googline vorgeschlagene Wegstrecke überprüfte und feststellte, dass ich vor ca. 400 Meter hätte links abbiegen müssen. Der vorgeschlagene Weg wurde ziemlich schnell zur Schotterpiste und ich nahm wiederholt man Mobil zu Hand um zu prüfen, ob das nun wirklich der richtige Weg war. Eine Karten-App von Neuseeland zeigte mir wunderbar den Weg an und auch die Anzahl von noch 24 zu fahrenden Kilometern.
Um das Ganze an der Stelle abzukürzen, ich bin auf staubigen Schotterpisten über mehrere Stunden den ganzen Nachmittag auf- und abgefahren. Dabei wurde mir irgendwann auch klar, wo die Wälder standen, mit deren Holz die Laderäume der Seeschiffe gefüttert wurden. Ich war mittendrin und am hintersten Ende erklärte mir lachend ein Waldarbeiter, die Wege hier sind alles nur Holzwege.
Also mit sich neigenden Wasservorräten wieder zurück zur Hauptstraße.
Meine Rettung kam in diesem Fall von hinten mit einem Pickup gefahren. Einen der beiden Waldarbeiter kannte mich schon und so wurden das staubige Rennstahl mit den staubigen Taschen auf die eben so staubige Ladefläche gehievt und der staubige abgekämpfte Radler durfte sich auf die Rückbank setzen.
Hat das gut getan!
Vermutlich wäre ich ohne die Beiden an diesem Tag nicht mehr aus den Bergen rausgekommen.
Und um mein Glück fast vollkommen zu machen, fuhren sie nach Wairoa also in die Richtung, in die ich auch musste.
In Nuhake an der Kreuzung nach Te Mahia entließen sie mich wieder aus ihrem Gefährt, aber nicht ohne ihnen noch ein großzügiges Trinkgeld für die Rettung mitzugeben.
Während der Fahrt über die Schotterpisten, hatte ich wegen der ungestümen Fahrweise ständig das Rad im Auge und zählte die Anzahl der Packtaschen auf der Ladefläche.
Bei der Fahrt über die SH2 versuchte ich ihre Gesprächsthemen zu entschlüsseln.
Eingangs haben wir Drei erstmal ganz ausgiebig gelacht, wie doof man doch sein muss mit Rad und Gepäck auf Holzabfuhrwegen rumzufahren.
Von der Lautstärke her, war es eher so als ob sie sich die Beiden von einer Bergspitze zur anderen unterhielten und nicht nebeneinander im Auto säßen.
Bei dem Gesprochenen kam in jedem Satz mindestens einmal “Fuck“ vor, während mir das Gesprächsthema als solches ein Rätsel blieb.
Zum Abschied meinten sie wohlwollend, noch eine halbe Stunde und dann hast Du’s geschafft. Allerdings waren es bei zunehmender Dämmerung noch 20 Kilometer und die Zeitvorgabe meiner Retter, galt nicht für abgekämpfte, vollgepackte Radfahrer. Jede noch so leichte Steigung nur schiebenderweise überwindend, kam ich in stockdunkler Nacht am Holiday Park, in dem ich erstmalig auf meiner Reise eine Unterkunft vorgebucht hatte, an. Die Chefin nahm sich auch fast unmittelbar meiner an, nicht aber ohne mir vorwurfsvoll zu erklären, dass sie die ganze Zeit schon gewartet hätte. Hatte im Vorfeld in der Buchungsmail geschrieben, dass ich nicht so genau weiß wann ich ankomme. Wobei ich aber zu diesem Zeitpunkt noch mit einer nachmittäglichen Ankunftszeit gerechnet hatte.






















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