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Rückenwind oder O'zapft is

  • drehknoepfle
  • 26. Juni 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Juli 2020




Der Aufbruch im Eketahuma-Inn gestaltete sich sehr kurz , zumal die Gastwirtsleute beide nicht im Hause waren. Nach einem kurzen Zwischenstopp im örtlichen Four Square Supermarkt ging es unter feuchten Bedingungen los. Noch unter dem Vordach des Supermarktes zog ich die Regenschutzprotektoren auf, wobei mein Körper darauf bisweilen ein wenig blümerant reagiert. Da wo nichts reingeht, kommt halt auch keine Feuchtigkeit und Wärme mehr raus.


Als Auftakt bei leichtem Nieselregen und schütterer Bewölkung zauberte mir die Sonne einen wunderschönen Torbogen über den Weg aus Eketahuna, nach meinem nächsten Ziel Masterton. Wenn das Mal kein (SEIN) gutes Zeichen war. Frau Google sprach von 42 Kilometern Wegstrecke und das Höhenprofil wies mehr Gefäll-als Steigungsstrecken auf. Und dann, hört hört Rückenwind! Das Wort ist doch mindestens so wohlklingend wie mein Schweizer Lieblingswort. Ich schreibe es Euch nochmal auf zum Mitsingen. Chuchichäschtli (Küchenschrank) Wenn auch mit reichlich Verkehr aber dafür sehr geschmeidig, glitt die SH2 vor mir her. Als Zwischenstopp hatte ich Pukaha schon im Vorfeld fest eingeplant und um nicht so auszukühlen beim Stopp, mein Tempo gedrosselt. Der Nieselregen senkte dabei die eher zu vernachlässigende Feinstaubbelastung im neuseeländischen Straßenverkehr nochmals erheblich.


Der National Wildlive Center mit 942 ha befindet sich in einem natürlichen Refugium am Mount Bruce angelegt. Zu den Aufgaben gehört es, neben dem die heimischen Wildtiere für Besucher zugänglicher zu machen, Wildtiere nachzuziehen und wieder in ihrem ursprünglichen natürlichen Lebensraum auszusiedeln. Die gesamten baulichen Anlagen und Wege sind sehr sanft in den Urwald integriert und es machte Freude durch das Gelände zu streichen. Ein zweistündiger Wanderweg, führt aus dem durch einen Bach malerisch durchflossenen Tiefland, zunächst noch an mehreren majestätischen Redwood-Bäumen vorbei, auf einen Höhenzug. Da mir sowieso kalt war und laufen “bei Rücken“ noch besser ist als Radfahren sagt Martina, habe ich mich auch auf diesen Weg eingelassen. Wieder wie bei den Besuchen in anderen Naturschutzgebieten, hatte ich das Bedürfnis die einzigartige Atmosphäre ganz tief in mich einzusaugen.


Bei den vielfältigen gestalteten Tierarten und dem lieblichen Bächle, musste ich unweigerlich an den Gottesdienst in Norsewood denken und an die Lesung aus der Bibel der Schöpfungsbericht. Gen 1,2 „Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ Oder auch an die immer wieder kehrende Formel, “Und Gott sah, dass es gut war.“



Weil die Tiere nachtaktiv sind, hat man für die Besucher den Tag-Nachtrhythmus verdreht. Bei dem speziellen Licht erscheint deshalb der weiße Kiwi auch eher rot als weiß. Neben vielen sich frei in dem Habitat bewegenden bzw. fliegenden Tieren (z. B. Papageien), gab es große Volieren, in denen Arten der heimischen Vogelwelt gehalten werden. Der Höhepunkt ist unter anderem das Kiwihaus, in dem der weltweit wohl einzige bekannte weiße Kiwi in seinem Habitat beim Würmersuchen beobachtet werden kann. Es verwundert nicht, dass die friedfertigen Kiwis in Neuseeland Sympathieträger und Wappenvogel sind. Eine angeregte Unterhaltung hatte ich zum Schluss auch noch mit einem Kokako. Er ist von ähnlicher Größe wie unsere Elstern und hat unter seinem Schnabel zwei blauleuchtende Plättchen.


Im Café sitzend war bei einer Halbliterkanne Tee hatte ich Gelegenheit, das Erfahrene nachwirken zu lassen und einer dicken Woodpigeon (Waldtaube) beim unbeholfenen Beerenpflücken in einem Baum zu beobachten. Gegen Nachmittag hatte sich der kräftige Nieselregen wieder einbekommen aber nicht der Rückenwind und so fuhr ich euphorisch meinem nächsten Etappenziel entgegen.



Falls mich Mal jemals einer danach fragen sollte, ob ich lieber den neuseeländischen Wind von vorne oder Regen von oben haben möchte, vielleicht so 150 Liter auf den Quadratmeter in der halben Stunde, gäbe es für mich nur eine Antwort, Re-gen, Re-gen, Re-gen. Schon fast tiefenentspannt kam ich bei meinen neuen Airbnb-Gastgebern Ondy und Mick an. Schnell war Rennstahl in der Garage geparkt und mit einem interessierten Seitenblick stellte ich schon fest, hier braut sich was zusammen. Sehr herzlich und freundlich bekam ich das Haus und auch mein großzügiges Zimmer gezeigt. Nicht erstaunt war ich dann über die gediegenen Bierzapfanlage im Wohnzimmer, als viel mehr über die Jägerkuckucksuhr daneben. Zu dem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer war die Kuckucksuhr ein vollkommen unverzichtbareres Ausstattungsdetail.


Sehr komfortabel lag mein Zimmer unmittelbar neben der Garage und so war auch schnell entladen. Bei dem bisher schon im Hause alles Erfahrenen, war wohl mit Langeweile nicht zu rechnen. Unweigerlich tat es nun hernach Not, erst einmal den Hausbräu, ein leckeres kräftig gehopftes Bier zu verkosten. Mick der Hausherr ließ es sich auch nicht nehmen, den selbstgemachten Wein ein Sauvignon Blanc auszuschenken. Neben den beiden kleinen Hunden und der Katze der Familie lernte ich auch Haiyun einen weiteren Gast im Haus kennen. Die sympathische Frau aus dem Land des Lächelns ist anders als ich, nicht aus dem Dunstkreis einer Weltstadt wie Köln, sondern aus einem kleinen unbedeutenden Städtchen was sich so nördlich an Hongkong schmiegt. Es heißt Shenzhen, hat ca. 13 Mio. Einwohner und den drittgrößten Containerhafen der Welt. (Das die Chinesen auch immer so auf die Kacke hauen müssen!) Sie betreibt ein Gästehaus und war vorher für ein halbes Jahr in Christchurch auf der Schule um dort Englisch zu lernen. Der aus England stammende Mick erinnert mich in seinem Selbermacherwesen, ein wenig an den Robin von der Insel, mit dem mich auch die Leidenschaft fürs Brotbacken verband. Während der Robin mit seiner Mühle das Getreide gemahlen und frisch zu Brot verbacken hat, macht der Mick in seinen Brauapparaturen aus dem Getreide frisches Bier. Also aus rein bayrischer Sicht betrachtet, ist der Aggregatzustand der einzige Unterschied. Beim Gärvorgang (Lockerung) des Brotes entsteht in gleicher Weise wie beim Brauen Alkohol, nur das der beim Abbacken wieder verfliegt. Nach Bier und Wein schon leicht angeschickert machte ich von dem Angebot meiner Gastgeber Gebrauch, den Spa-Pool im Garten zu nutzen. Neben einem kleinen Bachlauf mit Aalen drin, zwischen dem üppigen Bewuchs des Gartens, saß ich nun in dem auf 39 Grad dauergeheizten Pool. Trotz leichten Nieselregens muss ich sagen, da hätte ich es schlimmer antreffen können. Zu den Aalen, die ich anderweitig schon erwähnt habe, noch einige ergänzende Bemerkungen. Vermutlich denkt ihr bei Aalen wie ich auch angewidert, an die Szene mit dem Pferdekopf aus dem Film “ Die Blechtrommel“ von Günter Grass. Die Langflossenaale hier leben bevorzugt in den schnellfließenden Gewässern Neuseelands und ernähren sich von anderen Fischen als auch von Aas. Sie sind geschützt und dürfen nur von den Maoris für den Eigenbedarf gefangen und gegessen werden. Bei mir habe ich so gedacht, wenn man die aus Europa eingeführten Hirsche jagen darf, kann es nicht schlimm sein auf das Jagen von den endemischen Tauben, Aalen oder sonstigen neuseeländischen Getier zu verzichten. An vielen Stellen sind die Fische an Menschen gewöhnt und werden wie hier im Garten von den Kiwis gefüttert. Erstaunt hat mich, dass sie bis zu 1,80 m lang und 25 Kilo schwer werden können, bei einem Lebensalter von bis zu 100 Jahren.


Übrigens werden das Grundstück bzw. der Garten in charmanter Weise begrenzt durch den Wasserlauf, über der Brücke beim Nachbarn geht es aber genauso schön bewachsen weiter. Wie die vergangenen Aufenthalte bei privaten Gastgebern, war abends erst ein angeregter Datenaustausch angesagt. Zu dem gesellten sich auch die freundliche Nachbarin und Haiyun aus China. Eine weitere Gelegenheit noch Mal dem in der angrenzenden Garage erzeugten Produktes zuzusprechen. Bei dieser Gelegenheit kam auch erneut die Diskussion auf den tickenden mechanischen Zeitmesser, der regelmäßig von der Wohnzimmerwand Kuckuck flötete. Nein die kommen nicht aus der Schweiz, nicht aus Österreich und auch nicht aus Bayern, die sind aus dem Ländle, dem Schwarzwald. Die Kuckucksuhren entstanden in der heutigen Form erst Mitte des 1900 Jahrhunderts und sind von daher eher was Neumodisches. Die Besonderheit gegenüber den sonst gebauten Uhren, meist ein Schlagwerk verbunden mit durch kleine Blasebälge angesteuerte Flöten. Die ursprünglichen Schwarzwälder Uhren hatten je nach dem Geldbeutel des Auftraggebers aber auch andere teilweise aufwendigste mechanisch initiierte Raffinessen. Allen Uhren war anfänglich gemein, dass sie fast ausschließlich aus Holz gefertigt waren. Deshalb waren sie auch sehr leicht und konnte von den heimischen Uhrenträgern (ambulanten Händlern) bis nach England, Russland oder Amerika vertrieben werden. Die Zuggewichte wurden dann dazu vor Ort (beim Käufer einer Uhr) gefertigt, was auch die bei allen alten Uhren eher unspezifischen Ausführung der Gewichte (Blei in Messinghülsen, Steine, Grauguss, usw.) erklärt. Im Bergischen Land haben die Billigimporte aus dem Schwarzwald die gediegene heimische Uhrenindustrie zum Erliegen gebracht, sagt Bertram, unter anderem auch Uhrmachermeister meines Vertrauens. Das die Uhrenträger in Richtung Osten nicht über Russland hinaus gekommen sind, hat mich dann doch etwas gepikst. Habe das vor Jahren zum Anlass genommen, für einen Arbeitsaufenthalt in Japan, eine Kuckucksuhr aus meiner Küche abzuhängen und der alten Tradition folgend, nach Japan zu “tragen“. Beim Check-In in Düsseldorf, hatte die Uhr im Rucksack bei den Securitys, für etwas Aufregung gesorgt, aber letztlich flötet sie seit dieser Zeit, in der freievangelischen Gemeinschaft von Inazawa durch die Gemeinderäume.

Mein Gastgeber Mick lebte auch schon Mal einige Jahre in Osnabrück und sprach ein wenig deutsch. Sehr positiv äußerte auch er sich über deutsche Ingenieurskunst bzw. deutsche Technologie und auch über unsere Kultur.

Dabei verfestigt sich mein Eindruck, dass alle Welt die deutschen Wesensmerkmale, Produkte und deren Qualität mehr schätzen als wir selbst. Vielleicht täte uns gut, sich mit mehr Wohlwollen auf unsere nicht nur unselige Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Wohlfahrtsstaat, und Fähigkeiten zu besinnen. Aus welcher Intention auch immer habe ich auf mein Handy einen Artikel vom Spiegel geschickt bekommen. Der Tenor des Artikels, auch wenn Deutschland oder Preussen keinen Sklavenhandel betrieben hat, gab es einzelne Deutsche, die am Sklavenhandel verdient haben. Da kommt in mir so ein komisches Gefühl auf, als ob man Deutschland eigentlich für alles Unglück dieser Welt verantwortlich machen will. Nicht nur das sie anders als andere Länder, dauernd Kriege anzettelt haben und Ethnien umbrachten, nein sie betrieben oder verdienten auch am Sklavenhandel. Hat da irgendjemand Sorge, dass die Deutschen in Hochmut verfallen, bloß weil sie anders als z. B. Teile der weißen amerikanischen Bevölkerung, keine oder weniger Probleme mit ihren schwarzen Mitmenschen haben. Wenn ich also als Deutscher für die aufgezählten Verbrechen Verantwortung tragen soll, dann bitte auch wegen den Pogromen gegen Juden, Protestanten oder Mennoniten im Mittelalter. Und natürlich auch nicht zu vergessen die Gräueltaten gegen die amerikanische Urbevölkerung (First Nation), zumal sich die Hälfte aller amerikanischen Staatsbürger dazu bekennt deutsche Wurzeln zu besitzen. Und typisch, am Bau der Atombombe waren ja auch wieder deutsche Physiker dabei. Die europäischen Eroberer (fast ausschließlich Nichtdeutsche) haben sich bei der Aneignung der neuseeländischen Ländereien von den polynesischen Ureinwohnern weiß Gott nicht mit Ruhm bekleckert. Nichtdestotrotz ist man in Neuseeland um Ausgleich, Anerkennung, Wertschätzung für die Kultur und Sprache der Maoris bedacht, ohne sich aber an jeder Straßenecke selbst für die begangenen Verbrechen an den Ureinwohnern zu geißeln. Einmal mehr wird einem das v. g. bewusst, wenn man das Nationalmuseum Te Papa Tongarewa in Wellington besucht. Neben den maorisprachigen Unterhaltungssendern, gibt es im neuseeländischen Fernsehen sogar einen christlichen Sender in dieser Sprache. Kunst und Kultur der Maoris werden den Besuchern dieses Landes auch gleichermaßen als fester Bestandteil der Geschichte vermittelt wie auch die Historie der europäischen Siedler. Erscheint für mich als guter und gangbarer Weg, um mit dem in der Vergangenheit begangenen Unrecht umzugehen.


 
 
 

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