top of page

Tage in Masterton

  • drehknoepfle
  • 28. Juni 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Juli 2020



Wieder mal bin ich so schreibtechnisch ins Hintertreffen geraten und so nutzte ich den nächsten Tag nach meiner Ankunft zum Schreiben und für einen Einkauf in der Stadt. Außerdem war es ausschließlich am Regnen, so das draußen nicht viel zu verpassen war. In einer Anregung für Airbnb-Reisende wurde vorgeschlagen, man solle sich für seine Gastgeber zum Beispiel mit einem Essen nach eigener Rezeptur einbringen. Gemeinsam mit zwei weiteren Freunden der Familie und Haiyun aus China wurde aus meiner Idee ein unterhaltsamer Abend.


Den Sonntag lenkten mich meine Schritte zu der 8 Gehminuten entfernten Baptist Church. Da ich noch zu früh dran war, lernte ich in kleinem Kreis Scott den Pastor kennen. Wie in der Gemeinde in Inazawa Japan kamen in dem Gottesdienstraum unterschiedlichste Nationalitäten zusammen. Was zu allen Anwesenden unmittelbar für Nähe und Zutrauen sorgte, war der verbindende gemeinsame Glaube. Da braucht es keinerlei Erklärungen oder Vorrede, man ist Christ und damit unmittelbar ein Teil der Gemeinschaft. Die Predigt bezog sich auf den Text aus der Bibel Jeremias 20,7 in dem er Gott klagt, dass er um SEINER Willen verspottet und verlacht wird.


Nach dem Austausch mit vielen Leuten beim Kirchkaffee, luden mich Christine und Toni ein Paar in meinem Alter ein, zu Ihnen zum Lunch mitzukommen. Nach Mittagessen, allgemeinen Austausch und gemeinsamen Gebet war es dann schon wieder dunkel, als ich das gastliche Haus der Beiden wieder verließ. In der katholischen Tradition aufgewachsen, ist es mir immer noch etwas gewöhnungsbedürftig, mit welcher Spontanität, welchem Selbstverständnis eigentlich fremde Menschen ein Gebet (für Martinas bevorstehender OP) zusprechen. Für den darauffolgenden Tag hatte Ondy für mich ein Kraftfahrzeug bei einer Autowerkstatt reserviert. Hintergrund, vor meiner Weiterreise wollte ich die Region Wairarapa um Masterton doch noch ein wenig besser kennenlernen. Wegen der unsicheren Wetterlage und vor allem Aufgrund der Länge der Fahrstrecke, bin ich nun Rennstahl erstmalig untreu geworden. Wobei es sich in der trockenen Garage, bei den blubbernden Bierreaktoren von Mick, sicherlich nicht unwohl gefühlt hat.

Ondy brachte uns (Haiyun wollte die gleiche Richtung nach Greytown) zur Werkstatt und präsentiert wurde mir ein durchgenudelter schmutziger Polo. Augenscheinlich die Werkstatthure! Lieber schlecht gefahren als gut gelaufen, hab ich mir schon in meiner Jugend mit meinem orangen Renault R4 gesagt und das Fahrzeug übernommen. Der orange R4 war auch das legendäre KFZ, mit dem ich mich Wintertags auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle und ehemals Lehrstelle, auf dem Höhenzug zwischen Seppenhofen und Reiselfingen durch meterhohe Schneewehen boxte. An klaren Tagen hatte man vom selben Zug, unweit der romantischen Wutachschlucht, eine herrlichen Blick zu den Schweizer Alpen. Für diejenigen die geistig genauso kurzatmig sind wie ich, noch Mal mein Schweizer Lieblingswort. Chuchichäschtli (Küchenschrank) Aber zurück zum Ausflug, nach kurzem Stopp in Greytown durften wir feststellen, dass die Museen in NZ montags auch zu haben, zumindest im Winter. Um den kulturellen Event gebracht, freute sich Haiyun nun an der Weiterfahrt zum Cape Palliser, welches den südöstlichsten Zipfel der Nordinsel NZ bildet. Eigentlich hatten meine Gastgeber über diesen Ort nicht viel gesagt oder ich hab es nicht verstanden, zumindest sollte es dort nett sein.



Auf ruhigen Nebenstrecken fuhren wir wieder durch weitläufiges Farmland, bis die Straße nach links in Hügelketten verschwenkte. Der Weg folgte nun der Küstenlinie und schaukelte dabei wild auf und ab und zu den Seiten um letztlich auf einen Gravelroad zu münden. Während, zur Rechten gigantischen Wellen auf den Strand oder in die Felsen brandeten, ragte das Land zur Linken schroff auf. Verstreut am Weg einzelne Farmhäuser, während das zugehörige Vieh durch die Berghänge turnte. Dazwischen kleine Ansammlungen von Ferienhäuser und auch die der heimischen Hummerfischer, die sich allesamt malerisch in die Landschaft fügten. Von den ergiebigen Regenfällen der letzten Tage waren von den Steilhängen Lehmlawinen abgerutscht und drängten auf den Fahrweg.


Vollbeschäftigt damit die Piste vor mir im Auge zu behalten, wollte Haiyun spontan das ich anhalte. Erst auf den zweiten Blick erkannte auch ich, dass der zum Meer abfallende Hang nicht nur mit Steinbrocken sondern mit unzähligen Robben übersäht war. Wir standen quasi mit dem gammeligen Polo direkt neben einer Kolonie von weiblichen Seehunden mit ihren Jungtieren. Ich war so verblüfft, dass ich zunächst nur da stand und die Tiere anglotzte. Ein Jungtier war wohl von mir genauso angetan, weshalb es neugierig bis auf Armlänge zu mir heranrobbte. Mittlerweile hatte ich mich hingesetzt und so konnten wir uns in aller Ruhe ganz tief in die Augen schauen. Die kleine Robbe mit großen schwarzen Kulleraugen und den Kopf dabei bis zu 180 Grad verdrehend. Ich hätte sie wegklauen können, so herzallerliebst hat sie mich angeschaut.



Dann fielen mir aber unmittelbar auch wieder die Verpflichtungen ein, auf die man sich mit einem Seehund einlassen muss. Zum Beispiel dreimal täglich Gassischwimmen und das auch bei Wind und Wetter. Dann der Sachkundenachweis zum Führen eines Hundes (auch wenn‘s kein Kampfseehund ist, weil er schwerer als 20 kg Gewicht wird), Welpenschule, Hundesteuer, Haftpflichtversicherung zum Beispiel dafür, wenn Hundi ausgebüxt ist und dem Nachbarn den Teich mit den Koi-Karpfen leergefressen hat, usw. Außerdem die Ernährungsfrage, zumal die Tiere wohl wenig mit Fischstäbchen zu beeindrucken sind, und, und, und. Und um nicht um des Tieres Willen in Armut zu verfallen, müsste man folgerichtig jede Woche einen Fischladen ausrauben. Nein, so groß war dann die Liebe doch wieder nicht!


Nach einiger Zeit des sich gegenseitigen Bestaunens machten wir uns wieder in Richtung unserem Ziel auf den Weg um ein paar hundert Meter weiter wieder zu stoppen, weil sich dort nach islamischen Vorbild vollkommen korrekt, die männlichen Seehunde für sich versammelt hatten. Da denk man schon Mal, wie blöd ist das denn, so auf dem Weg rumzuliegen. Ist aber die falsche Denke! Richtig ist in dem Fall, wie blöd sind die den, dass die einem dauernd durchs Schlafzimmer fahren.


Nach der Durchquerung zweier von den Regenfällen gut genährtert Bäche und weiteren Robbensichtungen erreichten wir das Ziel den Leuchtturm von Cape Palliser. Auf dem Weg auch wieder faszinierende Ausblicke über weit draußen sich brechende gigantische Wellen, Fels- und Sandstrände. Auch der Küstensaum veränderte ständig sein Gesicht. Mal sanfte Hügel, schroffe Felsen, Steilhänge aus Lehm, mit Stechginster überwucherte Hänge, dazwischen kleinere Felsen und große Findlinge. Beim Leuchtturm und Ende der Piste war ein Carpark (Parkplatz) mit riesigen Pfützen und natürlich Publictoilet. Machte mir wegen der Pfützen schon was Sorgen um Haiyun, wo sie doch nicht schwimmen kann. Weil unter anderem die Scheibenwischwaschanlage des Polo trocken war, nutzte ich die Gelegenheit, sie mit drei Tüten Pfützenwasser zu füllen.


Zum Leuchtturm auf einen Felsgrat, führte gefühlte hundert Meter, eine Holztreppe steil nach oben. Neben viel frischer Luft bekam man eine weitläufige Sicht auf den Küstensaum zu beiden Seiten der Höhe geboten. Junge Leute die neben uns geparkt hatten, wiesen mich im Anschluss noch auf einen Nagel hin, der mit Spitze nach außen, etwa fünf Zentimeter aus dem linken Hinterreifen (Beifahrerseite) ragte. So ein Nagelerlebnis hatte ich doch schon mit Rennstahl in Thames hinter mir.


Zurück ging es wieder über die Holperpiste aber nicht ohne diverse Male anzuhalten und sich an den Robbenkolonien zu erfreuen. Auf einer kleinen Halbinsel hatte sich zwischen den Felsen ein Pool ausgebildet, in dem die lieben Kleinen erste Schwimmübungen machten. Die zum Meer hin sich öffnenden Taleinschnitte waren von ihrer Ausstrahlung, Natur und Pflanzenwelt nicht weniger verheißungsvoll als Küste und Meer. Um die Region nur halbwegs zu erkunden, kennenzulernen, hätte man sich bestimmt 14 Tage aufhalten können. Auch am Rückweg passierten wir das Schild wieder mit dem Verweis auf die Toiletten aber diesmal mit dem davor liegenden Seehund.


Dazu fällt mir eine Geschichte, aus meinen Tagen im Kölner Rettungsdienst ein. Um die Mittagszeit, bei Sonnenschein aber winterlich kühlen Temperaturen, wurden wir mit dem RTW1-1 zur Richmodstraße- Ecke Breite Str. alarmiert. Vor Ort sollte sich eine hilflose Person befinden. An der Einsatzstelle angekommen lag eine obdachlose, männliche Person am Straßenrand. Nachdem wir die Person angesprochen haben, gab sie uns zu verstehen, dass sie gerade schlafen und nicht gestört werden wollte. Mit dem Argument, dass wir ihn an der Stelle im 10 Minutentakt erneut stören müssten, ließ er sich dazu überreden, einen weniger exponierten Schlafplatz aufzusuchen. In diesem Zusammenhang schätze ich die nächstenliebenden Menschen über alles, die sich die Finger an der 112 (kostenlose Servicenummer der Feuerwehr) blutig wählen, um notleidenden Menschen zu helfen. Um festzustellen ob jemand bewusstlos ist oder schläft muss man keine zehn Semester Medizin studiert haben. Einfach auf Augenhöhe gehen, ansprechen und beherzt die Hand auf eine Schulter legen. Vollkommen unspektakulär und hilfreich. Ist anders als für das qualifizierte Personal im Rettungsdienst, natürlich für den Laien nicht ganz ungefährlich. Man kann sich das Knie schmutzig machen und womöglich schlägt einem beim Näherkommen ein Düftchen entgegen, ähnlich dem einer Robbenkolonie. Erfüllt von den vielen Eindrücken, dem Naturerleben, der Urgewalt des Meeres und mit dem halbplatten Reifen sind wir dann wieder bei unseren Gastgebern in Masterton eingelaufen. (Nachtrag zu den sogenannten Meeressäugetieren die von den Einheimischen Seals, Seehunde genannt werden. Von hochqualifizierter Stelle, aus Schottland der Universität für Meeresbiologie in Edinburgh, genauer gesagt von der Sonja habe ich erfahren, dass es sich bei den Tierkolonien um Seebären handelte. In Neuseeland gibt es gar keine Seehunde. Ihr merkt schon, meine laienhaften Verbreitungen werden bisweilen ziemlich schnell enttarnt.) Der letzte Tag in Masterton präsentierte sich mit blauem Himmel und Sonnenschein. Haiyun schon durch die Gastgeber vorqualifiziert, hielt nun auch die Zeit für gekommen, mich in der Fütterung der Raubtiere, im rückwärtigen Gartenbereich bzw. Gartenwasserlauf zu unterweisen. Extra dafür hatte sie ein Stück Lachs gekauft und Mick spendete noch eine Schüssel mit Hühnerknochen dazu. Kaum waren die ersten Knochen im Wasser gelandet, kamen auch schon die mehr als armdicken Aale, durch das teilweise nur knöcheltiefe Wasser gegen die Strömung den Bach hochgeflogen. Zum Abschluss der Fütterung waren ca. 15 Tiere in dem seichten Wasser versammelt. Keine Ahnung wie die gefährlichen Röhrenknochen des Hähnchens weiterverarbeitet wurden. Entweder werden die als Ganzes verdaut oder als solches wieder ausgeschieden. Ganz nahe dabei, verfolgte auch die alte Dame von Hauskatze das Spektakel, wobei ich angesichts dieser Fressorgie mehr Sorge um die Katze als um die Fische hatte.


Aber zurück zum Tagesprogramm, bei Temperaturen zwischen 15- und 20 Grad, habe ich mich unmittelbar auf Rennstahl geschwungen, um die nähere Umgebung noch einmal mit dem Rad zu erkunden.


Postboxpandemie! Eigentlich schon am Heimweg blockierte die Lenkung von Rennstahl und so musste ich notgedrungen gerade aus radeln, bis ich vor der örtlichen Eisdiele zum Stehen kam. Letztlich konnte mich Rennstahl davon überzeugen, dass der Besuch der o. g. Einrichtung ein würdiger Abschluss der Zeit in Masterton sein könnte.


Zu wiederholten Mal wurden die Gäste im Haus von Ondy und Mick mit einem Dinner verwöhnt, wofür man sich selbstverständlich im Anschluss beim Küchendienst ereiferte.




 
 
 

1 Kommentar


masteffens
06. Juli 2020

Wir lesen auch regelmäßig, unregelmäßig mit, dir weiterhin eine gesunde ereignisreiche Zeit, Grüße aus Paffenlöh M&

Gefällt mir

© 2023 Robert Lehmann. Erstellt mit Wix.com.

  • facebook-square
  • Flickr Black Square
  • Twitter Square
  • Pinterest Black Square
bottom of page