Unter Schwerstarbeit nach Tutira oder “Noch Mal Schwein gehabt“
- drehknoepfle
- 23. Mai 2020
- 7 Min. Lesezeit
Was ich am Vorabend in herzlicher Atmosphäre und auch am nächsten Tag verdrängen wollte war die Tatsache, dass mir auf der nächsten Etappe nach Tutira, fast 1000 Meter Steigungen blühten und knapp Hundert Kilometer Fahrtstrecke.
Aus der von Googlina vorberechneten Zeit von 5 Stunden und 20 Minuten wurden letztlich siebeneinhalb Stunden Reisezeit. Wobei ich die Pausenzeiten sehr kurz gehalten hatte.
Für die gewählte Etappenlänge gab es den triftigen Hautgrund, zwischen Wairoa und Tutira sind einfach keine buchbaren Unterkünfte.
Der zweite Grund war, dass Jenni woher auch immer die Lodge (meine nächste Unterkunft in Tutira) kannte und mir dazu wärmste Empfehlungen aussprach.
Also Morgens alles Verbrauchsmaterial noch aus den Taschen geräumt was nicht unbedingt von Nöten war, um hernach die prallgefüllten Orangensäcke wieder am Rennstahl zu verlasten.
Hatte es die Nacht und auch am Morgen noch heftig geregnet, so lichtete sich mit nähernder Abfahrtszeit der Nebel und die Sonne ließ die Region in märchenhaft nebelaushauchender Weise erstrahlen.
Ein letztes Mal Jennis Apfelkompott mit Ingwerstückchen im Müsli genossen, um mich dann sehr herzlich bei Jenni und Dave für ihre Gastfreundschaft zu bedanken.
Und trotz der kurzen Zeit die ich hier verbracht hatte, war da wieder dieser alte Schmerz, die Trauer, wenn man liebgewonnene Menschen verlassen muss.
Natürlich auch von Queen Miley, die immer ein Gespür dafür hat, wo gerade der allerbeste Platz im oder am Haus war. Nämlich immer dort (auf der Terrasse, auf dem Stuhl in der Sonne am Fenster, vor der Scheibe des Kaminofens, neben dem Heizstrahler, usw.) wo sie sich zu legen pflegte.
Nachdem wir uns noch gegenseitig beschenkt und freundschaftlich umarmt haben, schnell auf Rad und an die frische Luft, damit sich die Gedankenwelt wieder klärt und reinigt.
Die Wegstrecke begann für meine Tagesleistungskurve perfekt mit leichten Steigungs- und Gefällstrecken. Als ich die Ebene von Wairoa verließ, erregte zur Rechten ein Hubschrauber, der elfengleich über die Felder glitt, meine Aufmerksamkeit. Besonders ästhetisch anzusehen die Schlenker, mit denen am Ende des Feldes wendete.
Statt mit schweren Traktoren das Grün zu zermalmen und den Boden zu verdichten, hüpfte dieser Helikopter nun in aller Leichtigkeit, mit den seitlich weitabstehenden Sprüharmen über die grünen Auen. Welch ökologischer Fortschritt!?!? Nach ca. 25 km entspannter Fahrt begannen nun wieder die heftigen Steigungen. Ich vermied es abzusteigen und Schiebstrecken einzulegen, weil ich mir in den Fahrradschuhen nicht wieder Blasen an den Fersen erlaufen wollte. Dafür legte ich dann immer wieder kurze Trinkpausen ein. Generell kann man sagen, dass über meine Haut ein Vielfaches mehr an Flüssigkeit den Körper verlassen hat, als über das sonst gebräuchliche Ausscheidungsorgan für Fluide. Nach einigen Stunden ging das Letztgenannte, trotz regelmäßiger Flüssigkeitszufuhr, komplett in den “Habelangeweilemodus“. Gut, dass ich alle Getränkebehältnisse bis zum Anschlag vollgetankt hatte, alte Menschen müssen schließlich viel trinken, habe ich nämlich in der Senioren- Bravo (Apothekenrundschau) gelesen.
Wenn man einem U-Boot gleich, in Schleichfahrt die Berge erklimmt, bekommt man deutlich mehr zu sehen als der gemeine Trucker oder Autofahrer. Eines davon sind übelriechende grünliche Streifen, parallel links neben der Fahrbahn, die sich über mehrere Hundert Meter hinziehen können. Es sieht aus wie Sch…. und ist auch welcher. Die Auflösung des Phänomens ist ganz easy (einfach). Neben einer Vielzahl an Holztrucks, gibt es auch sehr viele Viehtransporter mit Anhängerfahrzeugen. Vermutlich wenn niemand hinschaut öffnen sich auf wundersame Weise die fäkalischen Schleusen unter den Fahrzeugen und die gesammelten Exkremente der Deliqueten, werden in den Straßengraben entlassen.
Hoffentlich fühlt sich nie einer dieser Brummifahrer, durch meine Anwesenheit auf seiner Straße, sosehr provoziert, dass er für mich im Vorbeifahren seine Schleusen öffnet.
(Was würde der Wolfgang aus dem Münsterland dazu sagen, “nimm mir diese Bilder aus dem Kopf“)
Eine Attraktion auf halber Strecke ist eine Eisenbahnbrücke der parallel verlaufenden stillgelegten Bahnstrecke von Wairoa nach Napier. Die ist so dekorativ konstruiert, als ob der Brückenbauingenieur sie aus einem Modellbaukasten gebastelt hätte und überragt das Tal des Mohaka River und die SH 2.
Für kurzweilige Abwechslung sorgten schon Mal einzelne Ziegen oder auch ganze Herden, die angesichts meiner Erscheinung, in wilder Panik, über die Fahrbahn und die angrenzenden Böschungen hoch- oder runterjagten. Teilweise ist es Weidevieh, dass jemand gehört, aber manchmal sind es auch wilde Ziegen.
Der Unterschied???
In textformulierenden Gedanken verstrickt, habe ich ungewollt, mit Rennstahl an einer recht unübersichtlichen Stelle einen Schlenker vom Fahrbahnrand zur Mitte beschrieben. Grundsätzlich, sind meine wenn auch links eingeschränkten Hörorgane, nach rückwärts ausgerichtet, sodass es in diesem Zusammenhang bisher noch nie zu gefährlichen Situationen gekommen wäre. Nur doof, wenn just in diesem Moment Mal wieder die Polizei, in Form eines Streifenwagens entgegenkommt. Konnte es für den kurzen Moment schon an den Gesichtern ablesen, dass die Gesetzeshüter so ein Vergehen nicht auf sich beruhen lassen konnte. Nach wenigen Minuten hatten sie wohl gewendet und zeigten mir an stehen zu bleiben. Mit eindringlichen Worten und Miene erklärte mir ein junger Polizeibeamter, dass es viel zu gefährlich ist in der Fahrbahnmitte zu radeln. Ich konnte ihn nur voll und ganz zustimmen, bzw. ergänzend erklären, dass es am Fahrbahnrand auch schon gefährlich genug ist. Bevor sie mich aus ihrem dienstlichen Verweis entließen, durfte ich noch ein Bild von Ihnen machen. Auch erzählten sie mir auf meine Rückfrage hin, dass es nur noch 15 Kilometer bis Tutira seien, was mich sehr erleichterte.
Dazu muss ich bemerken, dass ich wegen Problemen mit dem Netzanbieter keine Daten über meinen Standort bzw. die verbleibende Reststrecke erhalten konnte. So hatte ich auch nur eine ungefähre Ahnung wieviel Kilometer Tortur immer noch vor mir lagen. Die Mitteilung meiner Freunde- und Helfer hatte mich zwar beflügelt, trotzdem wurde das Auf- und Ab im Straßenverlauf nicht weniger. Na ja, irgendwie müssen sich die knapp 1000 Meter Anstiege zusammensetzen.
Erschöpft und ausgekühlt kam ich in Tutira an der Dairy (Molkerei) an, die mir schon durch die um mich besorgten Polizisten beschrieben worden war. Hier gab es neben Postverteilstelle, eisgekühlten bunten Getränkeflaschen, Imbissgerichte, Chipstüten, sonstige Lebensmittel, Zeitungen, eisgekühlte Milch in Plastikflaschen, den ganzen Tag warmgehaltene Pies (kleine gedeckte Kuchen mit pikanter Füllung), Eiskrem offen in Kugeln, auch Redbull.
War ich vor Erreichen noch überzeugt keine Meter mehr fahren zu können, ließ mich das letztgenannte klebrige Zeug, neue Zuversicht schöpfen. Außerdem hatte mir die freundliche Frau in der Diary versichert, dass die Lodge ganz easy in 10 Minuten (mit dem Auto) zu erreichen wäre. Insgeheim war ich eigentlich schon drauf und dran den Farmer anzurufen, dass er mich mit Pickup oder Trailer bitte aufsammeln sollte.
Ganz genau wollte ich vor allem wissen, was ich noch an Steigungsstrecken zu erwarten hätte. Wie bereits von der freundlichen Molkereifrau angekündigt, musste ich nach weiteren Kilometern auf und ab, links in einen Gravelroad abbiegen. Ein Schild am Wegesrand verwies auf einen weiteren Kilometer bis zu meinem Ziel. Als ich zum Beginn der Dämmerung dann auf der Weide zu meiner linken stattliche Zuchtsauen ausmachte, war meine Freude über diesen Anblick, eine Unbeschreibliche.
Die letzten Meter zum Farmgebäude schob ich dann Rennstahl bis zu einer überdachten Veranda. Aus den Fenstern des Bauerhauses drang warmes freundliches Licht, alle Türen waren unverschlossen, aber Menschen war nicht auszumachen.
Hinter dem Gebäude entdeckte ich eine weiteres kleines Gebäude, in dem augenscheinlich ein alter Mann (wie später zu erfahren war, der Onkel von Nick dem Farmer) wohnte. Er meinte der Nick müsste im Haus oder am Paddock (Einzäunung) bei den Schweinen sein. Ausgekühlt wie ich war zog es mich nun eher zum Haus als zu den Schweinen. Das Feuer im Kaminofen war schon was runtergebrannt, weshalb ich schnell Mal mit Holz aus dem Bollerwagen vor der Eingangstür nachlegte. War ich so gegen 17.00 am Hof eingetroffen, so fand mich Nick der Pigfarmer, am Ofen kauernd so gegen 18.00 Uhr vor. Mit seinem freundlichen Lächeln und der rechten Riesenpranke wurde ich (trotz Covid 19) männerhart mit Handschlag begrüßt. Als nächstes schlug Nick vor, dass wir auf mein Eintreffen doch ein Bier trinken könnten. Wie sprach mein Freund Christian immer so nett, “ich höre mich nicht nein sagen.“ Gemeinsam gingen wir bewaffnet mit einem großen Krug auf die Veranda vor dem Haus. Schon bei meiner Ankunft war mir ein ungewöhnlicher etwa 180 cm hoher Kühlschrank aufgefallen, an dem auf der Türmitte ein Zapfhahn prankte und darüber ein Werbeposter für Bier. Nick öffnete die Tür um an der Druckgasflasche für das 50 Liter Bierfass zu drehen und erklärte mir bei der Gelegenheit direkt die Funktionsweise, der verbraucherfreundlich günstig positionierten, getränketechnischen Anlage.
Kann mich nicht mehr daran erinnern, wann mir ein Bier so lecker geschmeckt hat. Im Anschluss daran zeigte mir Nick mein Zimmer als auch die sanitären Anlage. Wieder zurück am Ofen, fragte mich Nick ob ich nicht vielleicht ein heißes Bad nehmen wollte. Ich kam fast aus dem Nicken nicht wieder heraus. Bewaffnet mit Wechselsachen, meinem Badetuch und einem weiteren vollen Glas Bier betrat ich das rustikale Badezimmer, wo mir Nick schon heißes Wasser eingelassen hatte. Vorsichtig gewöhnte ich meine Gliedmaßen an das heiße Wasser und kam schließlich komplett in der Wanne zu liegen. Heeeerrlisch!!!
Nach ca. 20 Minuten, fragte Nick von draußen vor dem Badezimmerfenster stehend, ob ich noch was zu trinken hätte.
Nachdem ich wahrheitsgemäß verneinte, bekam ich mein Glas erneut auf dem Fensterbrett stehend befüllt.
Jo iss den scho widder Weihnachten? (Werbespruch vom Beckebauers Franz)
Der Nick erinnert mich sehr an meinen Sportskameraden Hans.
Von sehr großer Statur mit großen Füßen, kräftigen Beinen und Armen aber ausgestattet mit einem jungenhaften, freundlichen und gewinnenden Lächeln.
Nach Beendigung der Badeorgie, kam ich wieder in die Küche, wo Nick noch letzte Hand bei der Bereitung unseres Dinners (Abendessen) anlegte
(Hatte ich doch bei Nick Halbpension gebucht)
Zum Abendessen gab es dann für jeden ein großes Stück Schwein, ein Stück Lamm, gekochte Kartoffel, Kohl und Knoblauchbrot.
Mit dem frischen Bier dabei ließ sich das Essen auch wunderbar nachspülen.
Danach fläzten wir uns jeweils auf eine Couch und zogen uns einen amerikanischen Krimi aus den 70-gern rein, der bei den Amish-People spielte.
Witzigerweise sprachen die Amish unter einander in dem Film deutsch.
Nick war müde und verließ vorzeitig das Feld in Richtung seines Schlafzimmers, aber nicht ohne mir vorher noch die Fernbedienung zu erklären.
Nach Filmende (bin dabei nicht eingeschlafen) zog auch ich mich rechtschaffend müde und glücklich über mein Tagewerk ins Schlafgemacht zurück.
Schon auf den letzten Metern zum Hof nachmittags, habe ich laut gejubelt und unserem Schöpfer für seine Bewahrung über den Tag und auch für die Energie gedankt, mit der ich mein neues Quartier wohlbehalten erreicht hatte.














































Kommentare