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Von Manutuhi nach Opunake und Neues aus der NZ Landwirtschaft

  • drehknoepfle
  • 12. Aug. 2020
  • 7 Min. Lesezeit



Den Morgen hatte mir Cathi noch ein fürstliches Frühstück zum Abschied bereitet. Da ich leider nicht davon wusste und schon mein Müsli aufhatte, musste ich schweren Herzens das liebevoll bereitete Mahl ablehnen. Wider dem Wetterbericht schien die Sonne und Howard der schon um fünf zur Arbeit gefahren war, erzählte mir von heftigem Regenfällen in der Nacht. Nach herzlichen Umarmungen und Abschiedsfoto verließ ich die Beiden und ihr gastfreundliches Haus. Das Navi prognostizierte ca. 60 km Fahrtstrecke und 3 Stunden Fahrtzeit bei überwiegend flachem Gelände. Zumindest für die ersten zwei Drittel des Weges war das schon wieder gelogen. Wie auch schon an den letzten Reisetagen fiel es mir heute wieder schwer in den Tritt zu kommen. Vermutlich geht es auch damit einher, dass die kühleren Temperaturen den Organismus mehr fordern als mit sportlicher Betätigung bei sommerlich warmem Wetter. So habe ich für mich die aktuell in Deutschland vorherrschenden Temperaturen um die 30 Grad als positiver wahrgenommen als die Aktuellen in NZ um die 10-15 Grad.


Letztes Bild, in die Jahre gekommen. Meine Wegstrecke durchschnitt zunächst in einem steten sanften auf und ab saftig grünes Farmland. Immer wieder gesäumt von Blumen oder blühenden Sträuchern und Bäumen. Zeitweise fehlte die Fahrradspur links von der Seitenlinie, was aber wegen dem geringeren Verkehrsaufkommen nicht unangenehm war. Anders als auf meinen vergangenen Fahrten dominierten jetzt weniger die Trucks mit den Baumstämmen als vielmehr die Milchtanklastzüge. Unterbrochen wurde das Farmland von mäandernden und üppig bewachsenen Flüssen und Bächen die sich natürlich allesamt dem Meer zuwandten. Zur Halbzeit kam ich dann in dem Ort mit der Brotfabrik ,in Manaia an. Schon am Ortseingang wurde man schon auf die Backerzeugnisse in Containerform verwiesen.


Bei meinem Eintreffen hatte sich die Himmel mit grauen Wolken zugezogen und aus dem leichten Gegenwind wurden raue Böen. Und wie bei Merzenich in Köln Niehl den Backstubenverkauf, gab es unmittelbar an der Großbäckerei einen Fabrikverkauf. Neben Brot und anderen Backwaren konnte man auch eingefrorene Teiglinge zum Selbstaufbacken kaufen. Es war halt nicht so wie man es von daheim kennt! Mit einer Tüte Käseschnecken verließ ich gerade den Laden als mich ein Mann, dessen Augen mich aus dem komplett zugewachsenen Gesicht freundlich anstrahlten, ansprach. Er zeigte auf den Horizont aus dessen Richtung heftige Sturmböen daherritten und meinte, in fünf Minuten gibt es Regen satt. Vermutlich hätte ich mich noch vor Jahren todesmutig in die (Wasser) Schlacht gestürzt, jetzt hielt ich vielmehr in der Schnelle nach einem trockenen Platz Ausschau, um dem Ungemach auszuweichen. Die Rettungsinsel kam mir auf der anderen Straßenseite, in Form von einem Takeaway (Imbissbude) entgegen. Von der "Speisentafel" an der Wand hatte ich mir ein “10 Dollar Paket“ geordert. Schließlich wollte ich meinen Aufenthalt in dem Laden auch irgendwie gerechtfertigt wissen. Dafür bekam ich dann dreifach mit grauem Papier eingeschlagen, ein großes Stück Fisch, eine Sausage (Wurst) am Stiel, zwei Nuggets vermutlich Hähnchenfleisch und ein halbes Kilo Pommes. Unter Zuhilfenahme von einem halben Liter Cola fand das Mahl einen Zugang zu meinen innerbetrieblichen verdauungstechnischen Abläufen. Ernährungsphysiologischen Erwägungen (ist die Wurst den Bio oder gibt es dazu keinen Salat) muss man bei solchen leckeren Events schon mal hinten anstellen. Die Regentätigkeit war nach dieser Orgie ziemlich abgeflacht und so schwang ich mich mit leicht schwangerem Baugefühl wieder aufs Rennstahl (sicherlich wurde das zulässiges Gesamtgewicht mit mir und Rennstahl bei 185 kg liegend, nur unwesentlich überschritten). Gott sei Dank blieben auf den nachfolgenden Kilometern die heftigen Steigungen aus. Eine Stunde weiter patrouillierte eine Dame im Blaumann, mit dem Handdüngerverteiler um den Hals hängend, entlang der Straßenfront. Es gibt so Menschen, die findet man auf Anhieb sympathisch und Ann gehörte klar dazu. Ohne Umschweife lud sie mich nach kurzer Vorstellrunde an der Straße, in das superschicke moderne Wohngebäude zum Tee ein. Aus dem Fenster des riesigen geschmackvollen Wohnzimmers hatte man einen wunderbaren Blick auf den Taranaki und von der Rückseite grenzte das Farmland an die Küste. In einem anregenden Gespräch erfuhr ich nicht nur, das sie mit ihrem Mann eine Dairyfarm mit 270 zu melkenden Kühen betreibt, sondern auch noch viele andere Details zum Thema NZ Landwirtschaft. Ihr Mann der Christopher hatte gerade keine Zeit, um zu dem Gespräch dazu zu stoßen aber dafür besuchten wir ihn am Melkstand der Farm, geeignet 43 Kühe gleichzeitig zu melken. Wie Maschinengewehrfeuer machten wir (Christopher und Christoph) einen Datenabgleich zur hiesigen und der heimischen Landwirtschaft in Deutschland. Es gibt dazu seit dem Kriegsende sehr viele Parallelen. So z. B. ist die Größe der Höfe in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich wie auch bei uns angewachsen, bei gleichzeitiger Abnahme der Betriebe.



Spülgang für die animalischen Hinterlassenschaften! Hintergrund der Eile, in der nebenan befindlichen Milchabgabestelle warteten schon die Damen auf den täglichen Service. Anders als auf vielen anderen NZ Milchfarmen wird hier das ganze Jahr gemolken. Zum Teil hat das auch mit dem zur Verfügung stehenden Futtermengen zu tun. Die Kühe von Ann und Christopher bekommen nur Futter zu fressen, was auch hier wächst und das ist Gras und vom Frühjahr Grassilage in Rundballen. Mit dem Taranaki im Rücken und der Küste vor der Brust ist auch alle Zeit für reichlich Regen und damit viel Futter für die Tiere gesorgt. Wie auf dem Bauernhof von Petra in der Nähe von Gengenbach im Schwarzwald werden die Kühe meist auf natürliche Weise durch Bullen gedeckt. Die rotbunten stattlichen Bullen gehören zu den Fleischrinderrassen und passen optisch so gar nicht zu den etwas eckigen Friesischen Damen. Sie mischen sich wohlwollend unter das Damenvolk und sorgen für kräftigeren Nachwuchs. Zum Nachziehen von Milchkühen sind die Kälber allerdings nicht geeignet. Für die Zucht der “Schwarzbunten Friesen“ werden die Kühe mit eingefrorenem Samen künstlich befruchtet. Ca. 90% der Weltmilchproduktion stammen von dieser Rasse, die sehr viel Futter aufnehmen und dafür auch viel Milch produzieren kann. (habe auch gestaunt, was der schlaue Wiki-Peter darüber geschrieben hat) Was die Optik angeht gibt es sicherlich anders als die Friesinnen (rechteckiges Tragegestell mit Euter) ansprechendere Rinderrasen.

Begleitet von den besten Wünschen, einer Plakette zum Anklemmen mit dem Saint Christopher (Schutzpatron der Reisenden) die mir Ann noch zum Abschied schenkte und frohem Herzen über die schöne Begegnung, machte ich mich wieder auf den Weg. Immer wieder ansichtig schon seit Beginn meiner Reise im Februar, wird man auch den vielen Verkehrstoten, die meist in keiner Statistik auftauchen. Neben den unbeliebten Opossum, Kaninchen sowie anderen kleineren Raubtieren, aber auch häufig Hasen und eben viele Arten von Vögeln.


Den Greifvogel wusste ich nicht genauer zu bestimmen. Letzteres Vögelchen, noch im Tod wunderschön anzusehen, ist eine endemische Art das Silvereye. Auch wenn ich den Pazifik zur Linken nur zeitweise sehen konnte, so gab es doch regelmäßig Hinweisschilder die auf Strände oder Campingplätzen an der Küste verwiesen. Der Hype in der Region ist Wellensurfen und so heißt auch die der Küstenlinie SH45 Surf-Highway. Zu meiner Rechten erhob sich immer wieder majestätisch der Taranaki mit ca. 2500 m, den die Region dominierenden Vulkanberg. Zum Ende meiner Tagesetappe hüllte er sich, wie seit den letzten Jahrhunderten nicht nur in Schweigen, sondern auch in Wolken.


Auch wenn es heute nur 60 km waren, freute ich mich mein Ziel erreicht zu haben und wurde von meinem Host Mike in Opunake herzlich mit einer Tasse Tee empfangen. Er wohnt in der Dieffenbach Street nur eine Minute entfernt vom Opunake Bay-Walkway und natürlich wollte ich wissen woher der ungewöhnliche Straßennamen kommt. Ernst Dieffenbach war ein deutscher Arzt, Naturforscher und Universalgelehrter aus Gießen dem die Erstbesteigung des lokalen Mount Taranki (hieß in der Vergangenheit Mount Egmont) zugesprochen wurde. Er hat namhafte Bücher über die Flora und Fauna von NZ geschrieben, die besondere Beachtung bei zukünftigen Siedlern fanden und in England verlegt wurden. Wohl aufgrund seiner freigeistigen Haltung kehrte er erst nach den Revolutionsjahren um 1850 nach Gießen zurück und erhielt an der Universität eine Professur. Nach der heißen Dusche und bei der leckeren Gemüsesuppe die Mike gekocht hatte, fand ein reger Meinungs- und Datenaustausch statt. Mike ist im Süden von Wellington an der Island Bay zusammen mit polnischen und italienischen Einwandererkindern aufgewachsen, während seine Vater von NZ und seine Mutter aus England stammte. In meiner Zeit in Kiwihauptstadt habe ich auch diese herrliche Ecke mit Rennstahl erkundet.


Lebhaft erzählte er mir von seinen Kumpels mit italienischen Wurzel und deren ungewöhnlichen Akzent und das den Kindern quer durch die Nachbarschaft alle Häuser offen standen. Deren Eltern kamen vielfach von der italienischen Lipareninsel Stromboli, wo in den 1930 Jahren die Reblaus den Weinbauern die Erwerbsgrundlage und der Vulkan mit seinen Ausbrüchen den Raum zum Leben genommen hatte. Von seiner Mutter wurde er zu den Fischern an die Bucht geschickt, um vom Kutter weg die fangfrischen Fische für das Mittagessen zu kaufen. Opunake hat mit seinen knapp 1400 Einwohnern vier Kirchen und die nächstgelegene, die Wave-Church hatte ich mir für den sonntäglichen Gottesdienst ausgewählt. Mit den weiteren ca. 30 Gottesdienstbesucher genoss ich den lebhaften Gottesdienst, dem sich noch im Anschluss eine gemeinsame Zeit mit Kuchen und Heißgetränk anschloss.



Die Wave-Church ein passender Name für die strandnahe Kirche und ein passender Ort an dem Sonntag für mich. Neben diversen anderen Gottesdienstbesuchern lernte ich auch den sympathischen Robert kennen. Seine Eltern stammen aus der Schweiz und sind nach dem 2. Weltkrieg nach NZ gekommen. Dem Robert würde man von seiner Erscheinung, seinem zurückhaltenden Wesen den Alpenbewohner unmittelbar abnehmen und nur sein Englisch mit Kiwislang passt dazu nicht so richtig.


im Bereich des Ortes hat die malerische Steilküste, an der man aufgrund der unterschiedlichen Schichtungen ein wenig in der vulkandominierten Vergangenheit lesen kann, zwei gediegene Sandstrände an denen sich die Wellensurfer austoben. Um die beschauliche Eintracht von Meer und Steilküsten länger genießen zu können, fehlt es leider an höheren Temperaturen. Der immer wieder vorherrschende Wind aus Südost (Antarktis) war dazu geeignet, einem aus der Hose zu pusten. Beim Spaziergang entlang der Küste traf ich noch einen freundlichen jungen Mann, der campender Weise seit Februar unterwegs ist und nicht nur aus der Schweiz stammt sondern auch so spricht. Dank der widrigen Umstände bezahlte er für seinen Camper mit eingebauter Toilette 18 NZD am Tag. Toilette ist wichtig (wird auch von außen mit einem Aufkleber angezeigt) damit man die zahlreichen Freecampingplätze ohne Toilettenanlagen in NZ nutzen darf. Dabei kam mir dann der bösartige Gedanke auf, wieviel Tage ich mir einen Camper Van mieten könnte, wenn ich Rennstahl verkaufe. Habe ich ihm natürlich nicht erzählt und vermutlich hätte es den treuen Drahtesel so gekrängt, dass er mir zukünftig seinen Dienst verweigert hätte. Fast ist es mir durchgegangen, nach so viel eidgenössischem Input mein Schweizer Lieblingswort zu erwähnen. Chuchichäschtli (Küchenschrank) Dem Ratgeber für Airbnb-Reisende folgend, habe ich mich wiederholt ernährungstechnisch in der Küche von Mike für ein gemeinsames Dinner ausgetobt. Ist natürlich purer Eigennutzt, weil ich dann die geschmackliche Ausrichtung des Essens selbst festlegen kann. Mit dem frischen Brokkoli aus Mikes Garten hatte ich in dem Fall einen Gemüsekuchen mit Räucherlachs gebastelt Und nicht nur wegen des guten WLan im Haus um mit meinen Geschichten wieder bei zu kommen, habe ich den Aufenthalt bei Mike um drei Tage verlängert.


Nachdem der Taranaki die letzten Tage sein Antlitz verhüllte, war er nun während ich an diesen Zeilen am Basteln bin, wunderbar aus dem Wohnzimmerfenster zu sehen. Was reizt eigentlich Menschen den bequemen Sessel im Wohnzimmer zu verlassen, um die Sicht umgekehrt also von der Spitze des Berges genießen zu wollen? Die Schneekuppe erinnert zwischendurch daran, dass es Winter in Neuseeland ist. Und auch die skifahrenden Kiwis können diesem Sport frönen, ohne dafür das Land verlassen zu müssen.


 
 
 

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© 2023 Robert Lehmann. Erstellt mit Wix.com.

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