Von Sockendorf (Norsewood) nach Eketahuna oder die alte Plag
- drehknoepfle
- 16. Juni 2020
- 5 Min. Lesezeit
Um mich für den kommenden Tag zu präparieren und nach der Zeit mitten im Landleben, hatte ich mir für morgens den Wecker gestellt.
Auch noch herrührend von meiner Wandertour, verstreute sich meine gesamte Habe vollflächig auf die Wohnhütte. So war gut zu tun, um nach dem Frühstück alles wieder transportfähig in meinen Packtaschen zu verlasten. Wollte nach so viel Vertrauen und Wohlwollen durch meine Gastgeber, wenn auch in bescheidenem Umfang, für etwas Ordnung in der Hütte nach meinem Auszug sorgen. Brian war schon wieder früh mit seinem Sohn Joe und dem Hofquadt unterwegs, nahm sich aber die Zeit, sich von mir zu verabschieden und dabei auch zu bekunden, dass ich immer wieder gerne zurückkommen könnte. Tut dem Seelchen gut, so viel Wertschätzung zu erfahren.
Billie die Tochter wird bei der Gelegenheit noch in der Schule abgesetzt. Die erste Tagesetappe stellte sich als ausgesprochen angenehm heraus, den Penelope nahm mich mit ihrem Pickup, wie am Vorabend vereinbart, samt Ballast mit nach Dannevirke. Einen Grund dafür auch, weil die Gesamtstrecke nach Eketahuna sich sonst sehr weiten würde. Was nichts Gutes vermuten ließ war der Wind, der schon am frühen Morgen über die Hütte fegte. Aber wie lautet doch einer meiner zahlreichen hochspirituellen Sprüchen, “Nicht schreien bevor es weh tut.“ Dazu hatte ich dann zu späterer Zeit, Anlass und Gelegenheit genug! Dannesvirke klingt irgendwie skandinavisch und tatsächlich entstammen die Gründerväter auch dem dänischen Mutterland, bzw. Nord-Schleswig-Holstein. In dem Städtchen gibt es einen Erzeugergroßmarkt (heißt hier Farmland) in dem Penelope irgendwelche Sachen für den Hof holen wollte. Nach kurzer und herzlicher Verabschiedung, begann ich mich auf dem Parkplatz für die Weiterfahrt zu sortieren. Im Baumarkt nebenan gab es elastischen Kleber für Schuhe, falls die Bänder meiner Hochleistungstrekkingsandalen noch Mal die Grätsche machen. Am Bankschalter nebenan gab es Bargeld, falls die Mastercard not wished (nicht gewünscht) ist. Nach mehr als einer Woche Fahrradabstinenz, meinte ich zunächst ein aufmucken und murrende Geräusche aus den tiefen meiner Oberschenkelmuskulatur zu vernehmen. Nachdem ich diese beflissentlich überhörte, verstummte das destruktive Gemurmel aber schnell wieder. Wie schon von Penelope beschrieben, zog sich die Stadt unendlich lang, für mich windgeschützt, entlang der SH2 hin. Das wahre Leben begann an diesem Tag für mich, als ich die schützende Deckung der Stadt verlassen und mich einem übermächtigen Gegner stellen musste. Der Freund aller Segelfreunde ritt auf dem freien Feld wilde Attacken gegen mich oder suchte mich mit linkischen Auslegern in den Straßengraben zu fegen. Nicht in untrainiertesten Zeiten, musste ich auf ebener Straße mit der Roloff-Drehgriffschaltung den zweiten Gang einlegen. Ich sehnte mich nach den Bergen, wo nach einem steilen Aufstieg auch wieder eine kurzweilige Abfahrt folgte.
Die Plag hatte ein kurzes Ende, nachdem ich das Städtchen Woodville erreichte. Danach veränderte sich der Verlauf der SH2 mehr in Richtung Süden, womit ich leichten Rückenwind hatte. Schon dachte ich bei mir, dass mich der Schöpfer in meinem Wehklagen erhört hatte als die SH2 wieder Kurs auf Südwest nahm. Nach der Mittagszeit trieben die Böen auch feinen Sprühregen vor sich her, woraus die Sonne wundervolle Regenbogenspektakel zauberte. Allein die Muße fehlte mir, in diesem Kampf gegen den Wind SEIN Zeichen in rechter Weise wertzuschätzen. SEINE Ansage, auch wenn du dich plagen musst bin ich bei Dir.
An meiner Wegstrecke passierte ich in großen Abstand einen Windpark der sich weitläufig über die Berghänge zog. Es scheint, dass der Platz für ein derartiges Projekt weiß Gott nicht zufällig gewählt worden ist. Ross aus Waipawa hatte mir davon erzählt und das die Einzelteile mit Seeschiffen nach Napier gebracht worden waren. Von dort ging es dann mit Tiefladern auf den Straßen weiter. Ein neuseeländisches Windparkprojekt gefügt mit Hightech Made in Germany. Übrigens produziert Neuseeland seinen Strom zu 94% mit regenerativen Energieträgern. Vor Jahren bin ich bei Sturm von Burscheid nach Köln zum Dienst geradelt. (bei schönem Wetter kann ja jeder radeln) Teilweise musste ich mein Rad über entwurzelte Bäume lupfen aber das war nicht so schlimm wie der heutige Tag. Um auf andere Gedanken zu kommen, ein kleiner Schwenk in die hiesige Vogelwelt. Neben den vielen heimischen Vogelarten, sind auch sehr viele in Europa heimische Arten vertreten. In teilweiße ganzen Schwärmen sieht man die sehr schön gezeichneten Distelfinken (mit den gelbgebänderten Flügeln und rotem Häubchen) oder auch die Goldammer in ihren auffallend leuchtenden Farben. An meiner Wegstrecke lag, durch großflächige Werbeschriften nicht zu übersehen, die Tui-Brauerei. Im Zugangsbereich wurde mit Brauereibesichtigung geworben und natürlich der Verkostung der verschiedenen liquiden Produkte. Da ich Sorge hatte, dass mir die Neuseeländische Polizei an Rennstahl die Pedale abschraubten könnte aber auch weil ich‘s für geraten hielt, meine Sieben Sinne beisammen zu halten, habe ich wider meiner sonst aufgeschlossenen Art, auf einen Besuch verzichtet.
Auf der letzten Wegstrecke zwischen Pahiatua und Eketahuna war ich später derart am Schwanken und Schlangenlinienfahren am Fahren, als ob ich es mit dem erprobtesten Kampftrinker des gesamten Tararua-District aufgenommen hätte.
In dem Städtchen Pahiatua hielt ich die Zeit für gelegen, neuen Brennstoff zu bunkern. In Ermangelung von ansprechenderen Lokalitäten, suchte ich ein Takeaway Café auf. Die Pommes und der Fisch schmeckten abgestanden. Die natürliche Beschaffenheit, des von mir gewählten braunen Kuchen mit fettem Schokoladenüberzug, muss einem sein Gewicht eins zu eins auf die Hüften zaubern.
Sehr charmant dafür die Bedienung an der Kasse, Lily aus Cambodia (Kambodscha). Sie war richtig verstört, wie man sich sowas wie Fahrradfahren mit Gepäck antun kann. (Ging mir heute genauso!) Nach einer angeregten Unterhaltung hat sie sich zum Schluss entschuldigt, dass sie so schlecht englisch sprechen könnte. Da sach ich Mal wieder, willkommen im Club! Spätestens nach der Pause in dem warmen Café, tat es Not noch eine fünfte dünne Schutzhaut über meinen Oberkörper zu legen. Es war mit einer Tagestemperatur von ca. 10 Grad nicht kalt, aber bei dem Wind und auf die Zeitdauer gesehen, hatte mein Körper Mühe warm zu bleiben. Zu meinen Rückenschmerzen, die sich zum Ende meiner Wandertour der letzten Tage wieder verstärkt hatten, gesellten sich zum Nachmittag heftige Bauchschmerzen. Vermutlich und ursächlich war das Mittagessen für die Turbulenzen in meinen Eingeweiden verantwortlich. Bei Kilometer 45 musste ich aus Energiemangel dann den tasmanischen Tiger aus der Lenkertasche holen, die Cadburyschokolade mit Black Forest Geschmack. Als der Regenbogen zu meiner Linken, sich dann über die Ortsschilder von Eketahuna und die SH2 stellte, war ich nur noch unendlich froh. Schnell hatte ich den Pub, das Eketahuna Inn ausgemacht und mit Rennstahl im Arm, durfte ich über den (nicht roten) Teppich, bis vor mein Zimmer rollen.
Die Schmerzsensoren in meinem Bauch waren mittlerweile zur Hochform aufgelaufen. So studierte ich als erstes unter den kritischen Augen der Gastwirtin, die Spirituosenflaschen hinter der Bar. Mein Blick blieb an der Ginflasche kleben und so bestellte ich mir direkt einen Doppelten davon. Natürlich hat Alkohol keine heilende Wirkung aber nach ca. 30 Minuten waren die schon krampfartigen Schmerzen Geschichte. Ein Ritual nach solch einem Tag, die heiße Dusche. In der Dusche auf dem Hotelflur spülte ich nicht nur den Schweiß, sondern auch die verdrießlichen Gedanken über diesen Tag bzw. den Wind in den Abfluss. Erfrischt und entspannt hernach eine neue Problemstellung, warum habe ich eigentlich das Badetuch auf dem Zimmer gelassen? Nach dem wirklich sehr leckeren Essen im Restaurant waren die Mühen und Plagen des Tages schon sehr weit von mir abgerückt. Wichtig nach solchen Einsätzen ist es auch immer, den Elektrolytverlust auszugleichen. Habe es mit Tui probiert und ich glaube es ist mir geglückt. Eine Erkenntnis die aus der Erfahrung des heutigen Tages in meine weiteren Tourenplanungen einfließen wird. Neben den Komponenten Wegstrecke, Höhenmetern nun auch an den Wind denken.






























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